SZ-Wirtschaftsgipfel : So soll die Wirtschaft Rohstoffe recyceln.

Original erschienen in der Süddeutschen Zeitung am 13. November 2023
von Lea Hampel

ORIGINAL ARTICLE
Süddeutsche Zeitung

Umweltministerin Steffi Lemke arbeitet an einer Strategie für eine Kreislaufwirtschaft.
Unternehmer und Umweltschützer zweifeln.

Am Ende erklärt Steffi Lemke anhand der Mopsfledermaus, warum ihr lebenslanges Herzensthema für alle wichtig ist: Es gehe eben nicht um einzelne bedrohte Arten. Bei Umwelt- und Naturschutz, so die Umweltministerin (Grüne) am Montag auf dem Wirtschaftsgipfel der SZ in Berlin, gehe es vielmehr darum, "dass wir begreifen, dass wir essenziell auf Ökosystemleistungen angewiesen sind". Luft, Wasser, all das brauche man zum Überleben und es sei in Gefahr, appelliert sie an die anwesenden Vertreter aus Wirtschaft und Politik.

Die Umweltministerin erläutert dazu gleich eines ihrer Kernprojekte: Die Ampelkoalition will eine nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie entwickeln, die die "Ziele und Maßnahmen zum zirkulären Wirtschaften und zur Ressourcenschonung aus allen relevanten Strategien" zusammenführt, wie es in der Auftaktankündigung im April dieses Jahres hieß. Das Thema ist drängend: Wenige Länder verbrauchen so viele primäre, also neue Rohstoffe wie die Bundesrepublik. Seit 2010 ist der Verbrauch sogar noch weiter gestiegen . Weltweit, sagt Lemke, sei mindestens die Hälfte aller Emissionen auf Rohstoffgewinnung zurückzuführen. Nur 13 Prozent der verbrauchten Rohstoffe hierzulande wurden vorher anderweitig genutzt. "Dabei geht es nicht um den einzelnen Joghurtbecher, sondern um Masseströme wie im Baustoffsektor", sagt Lemke. Tatsächlich gibt es seit mehr als elf Jahren ein Kreislaufwirtschaftsgesetz und zahlreiche zusätzliche Maßnahmen und Regeln. Doch der Ansatz, möglichst viele Prozesse von vornherein so zu gestalten, dass die Wiederverwertung aller Rohstoffe und Bestandteile mitbedacht wird und Abfälle erst gar nicht entstehen, ist nicht sonderlich verbreitet. Da sei, so Lemke, "wahnsinnig viel Luft nach oben". Es fehle ein strategischer Rahmen, "und diese Lücke versuchen wir zu schließen". Weil gleichzeitig die vergangenen Jahre mit Pandemie und Ukrainekrieg gezeigt haben, wie schnell Rohstoffketten unterbrochen werden können, sei es entscheidend, Kreislaufwirtschaft als Möglichkeit zur "Abmilderung von Engpässen" zu sehen. Lemkes Ziel: "Wir wollen Kreislaufwirtschaft zum Standortvorteil und Innovationsmotor machen."

Das Prozedere für die Erarbeitung einer Strategie, die das erreichen soll, ist ausgefeilt: Nach einem Auftakttreffen haben acht runde Tische zu Themenbereichen wie "Bekleidung und Textilien" und "Kunststoffe" getagt. Derzeit können in einem Online-Dialog für Verbände und Organisationen erste Entwürfe bewertet werden. Er endet am 17. November. Im ersten Quartal 2024 wolle man die Strategie im Kabinett verabschieden, so Lemke. So weit, so optimistisch.

Mit einem Paradigmenwechsel rechnen Teilnehmer nicht

Denn manche Teilnehmer sehen das Konzept durchaus kritisch. Christian Schiller war mit seinem Start-up Cirplus für den Handel mit recyceltem Plastik eingeladen, sich zu beteiligen. Grundsätzlich findet er den Ansatz Lemkes gut. Aber weil sehr viele Menschen vom Fach dabei gewesen seien, "waren die Forderungen der einzelnen Teilnehmer hinlänglich bekannt". Seiner Ansicht nach wurden die vor allem wiederholt. "Eigentlich nötig wäre ein Ausbrechen aus dem Silo-Denken - dass eben nicht jeder darauf pocht, sein Geschäftsmodell so lange in bisheriger Form weiterzuführen, wie es nur geht." Mit einem Paradigmenwechsel rechnet er gerade nicht.

Was Schiller meint, zeigt sich an einem weiteren Teilnehmer. Eines der bekannten Unternehmen, die an dem Prozess beteiligt sind, ist BMW. Der Autohersteller hat vor zwei Jahren ein Modellfahrzeug entwickelt, das den Anforderungen zirkulären Wirtschaftens entspricht. Auf Anfragen zur derzeitigen Kreislaufstrategie reagiert man beim Autobauer dennoch ausweichend. Ein Gespräch platzt mehrfach, stattdessen listet man schriftlich einzelne Projekte auf und berichtet, dass der Unterboden des Fahrzeugs mit Kunststoff aus alten PET-Flaschen und Fischernetzen verkleidet wird. Das entspricht nur etwa ein bis zwei Kilogramm pro Quadratmeter, im Vergleich zu durchschnittlich 300 Kilogramm Kunststoffen im Gesamtfahrzeug. Den Prozess zur nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie möchte man nicht kommentieren. Zu möglichen verbindlichen Zahlen äußert man sich ebenso wenig. Und gibt es eigene, verbindliche Ziele? Dazu schreibt ein Sprecher: "Kreislaufwirtschaft wird im Entwicklungsprozess konsequent über den gesamten Produktlebenszyklus mitgedacht." Das Maximum? "Die BMW Group will den Anteil der Sekundärmaterialien perspektivisch in ihren Produkten kontinuierlich erhöhen."

"Dass der Primär-Ressourcenverbrauch erheblich sinken muss, das wussten wir schon vorher."

Solche Formulierungen - allgemein und optimistisch - hat Thomas Fischer von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) schon oft gehört. Die Organisation, die bekannt für ihre Klagen in Zusammenhang mit dem Dieselskandal ist, ist ebenfalls am Prozess des Bundesumweltministeriums beteiligt. "Theoretisch ist eine nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie der erste Schritt in die richtige Richtung", sagt DUH-Kreislaufwirtschaftsexperte Fischer. Bis jetzt sieht er das mögliche Ergebnis der Strategiefindung aber skeptisch. "Ursprünglich sollten nur Ziele und Indikatoren vereinbart werden." Er sieht die Gefahr, dass am Ende lediglich ein allgemeiner Leitfaden des Wünschenswerten steht - ohne konkrete Werte oder verbindliche Ziele. Das geht ihm nicht weit genug. "Dass der Primär-Ressourcenverbrauch erheblich sinken muss, das wussten wir schon vorher."

In der Tat ist es wahrscheinlich, dass Ende des Jahres ein Papier mit allgemeinen Ansätzen und nebulösen Zielen herauskommt. Oder wie Gründer Schiller es formuliert: Das, was bisher erarbeitet wurde, war vor allem an der Konsensfähigkeit ausgerichtet. "Es muss eben alles sehr vorsichtig formuliert sein, damit sich alle darin wiederfinden." Je nachdem, ob die Wirtschaft sich daran hält, soll dann laut Teilnehmerkreisen nach einer Evaluierung gegebenenfalls nachjustiert werden beziehungsweise Ziele verbindlicher gemacht werden.

Weil ihm das nicht weit genug geht, nennt Umweltschützer Fischer mehrere konkrete Ansatzpunkte, was stattdessen passieren sollte. "Wenn man sich an Maximalforderungen nicht herantraut, dann kann man mit Mindeststandards, beispielsweise Mindestquoten für Rezyklatanteile, starten und dann sukzessive erweitern, das wäre denkbar." Zudem sieht er den Staat als Auftraggeber in der Pflicht, der zirkuläres Wirtschaften zur Bedingung macht. "Das fängt bei Ausschreibungen im Bauwesen an. Aber da passiert bis heute viel zu wenig", sagt Fischer. "Aber wenn der Staat vorpredigt, aber nicht vorlebt - wer fängt dann damit an?"

Natürlich werde die Strategie in konkrete Gesetze und Verordnungen münden, betonte Ministerin Lemke auf dem SZ-Wirtschaftsgipfel, auch neue Vorgaben für Staatsaufträge seien in Planung. Aber sie sagte auch: "Wir können die Wirtschaft nicht von heute auf morgen umstellen." Das freilich sehen die Umweltschützer bei der DUH anders. "Wenn man begrenzte Ressourcen, die sinkende Biodiversität und den Klimawandel zusammen denkt, haben wir diese Zeit nicht mehr", sagt Thomas Fischer. Es geht eben um mehr als eine Fledermaus.

Erschienen in der Süddeutschen Zeitung
am 13. November 2023
von Lea Hampel

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